In Altenbourgs Garten
„Streifzüge durch das Spinnbahngeviert, die geliebte Hellwiese mit dem Pappelsaum … das Draußen als Unendlichkeit, anziehend und abstoßend zugleich.“
Gerhard Altenbourg
Gotthard Jedlicka unterschied bildlich sprechend zwei Arten von Kunst: die eine, die in den Parks, die andre, die in den Schrebergärten entstehe. Gerhard Altenbourg in Altenburg hatte weder diesen noch jenen, aber der kleine Garten am Haus sollte parkartig sein, im Blumenverzicht fast künstlich. Das Exterieur als Interieur. Eine Magnolie bietet ihr Porzellan dar. Efeu umwindet den Stamm der Kirsche und Birne, vielarmig und vielköpfig schlangenhaft – nah dieser pflanzlichen Paarung war Altenbourgs Lieblingssitz. Eine Skulptur, von Hans Mettel, nun nicht skurril, nicht manieristisch, sollte dem Phantasten den Halt einer Gegenwelt geben.
Nicht wenige Künstler besitzen und unterhalten Gärten. Monets Riesen-Nymphäum in Giverny ist der berühmteste. Ihm folgten viele. Noldes Blumenmeer in Seebüll wetteiferte auf deutscher Seite mit ihm.
Hans Körnig ernährte sich in den Nachkriegsjahren von einem wirklichen Schrebergarten in Pieschen und malte ihn auch, sehnte sich aber gleichwohl nach Parks, Großsedlitz oder Phantasie. Helmut Schmidt-Kirstein war nur sporadisch in seinem Obstgarten in Bischofswerda, hauste dann im Gartenhaus und beobachtete die farbigen Streifen der Sonnenaufgänge über der Wiese. Paul Wilhelm in Radebeul züchtete Rittersporn, sammelte Schmetterlinge und aquarellierte. Albert Wigand aber, um noch einen Dresdner zu nennen, hat den Ausspruch getan: „Warum nach Italien reisen, wenn Stiefmütterchen vor dem Haus blühen!“ Auch wenn das „Haus“ nur eine Mietwohnung war.
Der alte Wigand war ein Förderer der Jüngeren Gerhard Altenbourg und Carlfriedrich Claus, die beide ebenso gern in ihren Labyrinthen verharrten. Altenbourg als ein „Ich-Gestein“. Eine Monographie Altenbourgs heißt gar „Der Gärtner“, meint das behutsame Pikieren und Okulieren mit dem Zeichenstift, das „Gärtnerische“ schlechthin, wie es einst der gelehrte Mönch Walahfrid Strabo auf der Reichenau kultivierte.
Kaum einer der Altenbourg-Interpreten gelangt ohne den Garten zum Ziel. Eberhard Roters erklärte apodiktisch: „Der Garten ist, als Werk des Künstlers, in der Dichte seiner Strukturen ein florales Analogon zu seiner Malerei.“
Der Garten ist Altenbourgs Werk. In der Hungerzeit wurde hier krude Gemüse gebaut. Der Kriegsheimkehrer brachte Traumata mit, Nahkampf, Tote, Verwesende. Er schickt Wurzeln hinab, bedeckt seine Qualen mit Moos. Sein Garten ist ein Friedhof über Erinnerungen.
Der Photograph Ulrich Lindner ist dem Zeichner Gerhard Altenbourg in manchem verwandt. Auch er hat sein Haus zum Gesamtkunstwerk verzaubert, auch er ist ein Gärtner, drinnen und draußen, mit Pontischen Azaleen, Camelien, Elefantenohr und einem wandernden Zitronenbaum.
Lindner hat im Frühjahr 1990, nach Altenbourgs plötzlichem, unvorhergesehenem Tod auf Wunsch oder Rat von Werner Schmidt hin das Gesamtkunstwerk des Altenbourgschen Hauses photographisch aufgenommen und die Tafeln zu einer Kassette vereinigt. Auch im Garten hat er damals photographiert, aber die Aufnahmen ruhten unbearbeitet bis heute. Die Blumenlosigkeit des hier und da fast schwarzen Grüns von Buchs- und Lebensbaum, Rhododendron oder Kirschlorbeer kommt seiner Kamera entgegen.
Nun, ein Jahrzehnt nach Altenbourgs Tod, begibt sich der Künstler noch einmal in die Welt des Entschwundenen. Das Äußere verändert sich sich noch eher als das Innere, ein Garten eher als ein Zimmer. In Lindners photographischen Blättern ist er bewahrt wie er war.
Dieter Hoffmann 1999, Begleittext zur Mappe „In Altenbourgs Garten. Elf Photographien von Ulrich Lindner“