AN ANDEREM ORT

Tiefsee-Jahrmarkt, 1948
Tiefsee-Jahrmarkt, 1948
WVZ 48/93, Fettkreide, Stabilo und Pastell
auf altem Kupferdruckpapier, 114 x 74,5 cm
Lindenau-Museum Altenburg,
vormals Sammlung Rugo

Und dann sank er und sank durch diese verschiedenen Tiefen, die Farbstufen und –schichten, und es war so schön, und er sank. Und noch immer.

Und bald hörte er eine ferne, eine vorsichtige Melodie. Manchmal wie ein Glockenspiel. Und dann schien sich ihm eine Stadt zu nähern, ein von Gebäuden umstandener lebendiger lauter Platz, ein Jahrmarkt, und er sah all die Karussells und das Riesenrad und die Schaukeln und Verkaufsstände mit Würsten und Zuckerguss und Schnitzereien, sah eine Bühne mit Clowns und einem enormen Muskelmann, und die Leierkasten-Musiken tirilierten sich herzlich durcheinander.

Doch ein Pförtner, der sich mit herabgezogenen Lippen Einlassdienst nannte, fragte ihn nach der Karte. – Was für eine Karte? – Die für den Eintritt. – Die habe ich nicht noch Pinunse. – Wovon redet er? – Geld. – Dann käme er hier nicht herein. – Das wäre schade, sagte der Taucher. Und verharrte, rotzig und ratlos, beinahe eine Stunde wohl. Bis ein deutlich anderer Einlassdienst ihm winkte und flüsterte, er könne sich eine Zeit hier umsehen, aber nichts anfassen und ohne Münzen auch nichts kaufen, und später sollte er sich bei dem gläsernen Fahrstuhl dort melden, der führe ihn in die andere Welt. – Welche andere Welt? – Na, Himmel, Hölle oder Fegefeuer, was gerade für ihn vorgesehen sei, - Bin ich denn tot? – Aber ja, Sie sind doch gerade ertrunken, mein Herr. – Das wusste ich nicht, das hat mir niemand gesagt. – Ja, wir sind auch für die Aufklärung zuständig, sagte der freundliche Herr Einlassdienst. Und fügte hinzu: Aber schauen Sie sich doch erst einmal um.

Freilich, bei so vielen neuen Nachrichten war dem Taucher ein wenig die Laune verdorben.

Manfred Jendryschik, aus: DIE GÄRTEN WURZELENTLANG, DER TAUCHER, DIE SCHWESTER, unveröffentlichten Texten zu Werken von Gerhard Altenbourg

Zurück